Die Rolle von Krankenkassen in der Digitalisierung des Gesundheitssystems

Für die erfolgreiche Weiterentwicklung unserer Gesundheitsversorgung ist das Vorantreiben der Digitalisierung die zentrale Voraussetzung. Im Gespräch mit Jeremias Pappert, Consultant to the CDO bei BARMER, einer der größten gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland, gehen wir der Frage auf den Grund, wie die digitale Transformation gelingen kann und welche Rolle Krankenkassen dabei spielen.

Jeremias Pappert, Consultant to the CDO bei BARMER, smiling at the camera

Erzählen Sie uns zunächst über Ihren Werdegang. Was haben Sie vor Ihrem Studium an der GBS gemacht und wie sind Sie im Gesundheitssektor gelandet?

Ich habe in Bayreuth BWL, Internationale Wirtschaft und Entwicklung studiert und dort ebenfalls einen Master in Gesundheitsökonomie absolviert. Nach 2 Ausflügen in die Entwicklungszusammenarbeit, u.a. im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und bei der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit in Namibia, bin ich im Rahmen eines Traineeprogramms bei der BARMER eingestiegen. Da ich aufgrund meiner Nebentätigkeit in einer Apotheke seit Schulzeiten immer nah am Gesundheitssektor dran war, hat mich vor allem eine Herausforderung an der Schnittstelle von Gesundheit, Ökonomie und Ethik interessiert. Was gibt es dann Interessanteres, als an der Versorgung von Millionen von Versicherten mitwirken zu dürfen? Nach dem Traineeprogramm war ich zunächst Vorstandsreferent, später dann einige Jahre Teamleiter im Bereich Prävention, wobei ich mich während der Teamleitung dann auch für den MBA entschieden hatte.

Wie hat Sie der Digital Transformation MBA der Goethe Business School (GBS) in Ihrer Karriere oder Ihrem Berufsalltag unterstützt?

Der Digital Transformation MBA (jetzt Goethe Part-Time MBA)  war für mich eine einzigartige Gelegenheit, mit Menschen anderer Branchen zusammenzukommen, von deren Erfahrungen im Bereich Digitalisierung zu lernen und aktuelles Know-How von renommierten Dozent:innen mitgegeben zu bekommen. Die Gesundheitsbranche in Deutschland hinkt im Zusammenhang mit Digitalisierung im Vergleich zu anderen Branchen immer etwas hinterher, wie aktuelle Studien belegen: dementsprechend ist das Potential für Veränderung hoch. Diese Potentiale zu realisieren, daran möchte ich aktiv mitwirken. Bei der BARMER bin ich unmittelbar nach Abschluss in den Bereich unseres Chief Digital Officers gewechselt. Der MBA mag dafür ein wertvolles Asset gewesen sein. Insbesondere die Bereitschaft zu konstanter Weiterentwicklung und lebenslangem Lernen ist in der heutigen Berufswelt jedoch meiner Ansicht nach ein noch wichtigerer Aspekt, ein MBA kann dafür ein Beleg sein.

Warum haben Sie sich nach dem Digital Transformation MBA entschieden, noch das Zertifikatsprogramm Data Science in Health zu belegen?

Durch den MBA wurden meine Erwartungen insbesondere bzgl. eines breiteren Blicks auf das Managen der digitalen Transformation und Inspiration durch die Perspektiven der Vertreter:innen anderer Branchen auf das Thema Digitalisierung erfüllt. Nichtsdestotrotz bringt das deutsche Gesundheitswesen noch einmal eine Reihe an weiteren Herausforderungen und zusätzliche Komplexitäten mit sich. Dazu gehören u.a. ethische Fragestellungen und Datenschutz, da das Thema Vertrauen im Bereich der Gesundheitsversorgung noch einmal einen deutlich höheren Stellenwert genießt. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz und eines Einsatzes im Gesundheitssektor werden wir als Gesellschaft für uns beantworten müssen, wie wir damit umgehen möchten. Das Zertifikatsprogramm Data Science in Health bot für mich daher einen guten Überblick über aktuelle Themen wie DiGas, KI, Data Science und ermöglichte mir in Bezug auf die Auswahl der Themen und Dozent:innen vor dem Hintergrund des Umfangs einen tiefen Blick in die Themen, wobei es trotzdem gut mit meinem Berufsalltag vereinbar war.

Was sehen Sie aktuell als die größte Herausforderung bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen?

Ich möchte mich auf die aus meiner Perspektive zwei größten Herausforderungen beschränken: Auf der einen Seite haben wir ein historisch gewachsenes System mit einer großen Akteurslandschaft, die über einflussreiche Interessensvertretungen verfügen und sich aufgrund von Partikularinteressen im Zusammenhang mit Digialisierungsinitiativen teilweise gegenseitig im Weg stehen. Auf der anderen Seite neigen wir in Deutschland zu Perfektion und möchten gerne alles bis ins letzte Detail regeln. Mehr Mut und Freude am Ausprobieren wäre angebracht und notwendig.

Wie gut sind GKV Ihrer Meinung nach im Hinblick auf die sich ständig verändernden Rahmenbedingungen und Anforderungen eingestellt?

Auch wenn ich regelmäßig im Austausch mit Vertreter:innen anderer Kassen bin, fällt es mir schwer, mir für die gesamte GKV ein Urteil zu bilden. Wenn ich auf unsere BARMER blicke, eine der größten Kassen in Deutschland, kann ich nach der Erfahrung der letzten 9 Jahre guten Gewissens sagen, dass wir uns zu einem agilen Unternehmen entwickelt haben, dass nicht nur flexibel auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagiert, sondern sich auch aktiv an der Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen beteiligt. Dies machen wir über die Mitarbeit in unterschiedlichen kassenübergreifenden Gremien und das Engagement in politischen Formaten, bspw. zuletzt bei der Erarbeitung der Digitalstrategie des BMG. Mit Blick auf die Anforderungen sind wir uns bewusst, dass diese inzwischen v.a. auch außerhalb des Gesundheitssektors definiert werden, wenn wir an die Erwartungen der Kund:innen und deren Erfahrungen in der Nutzung von Services und Angeboten der Techgiganten wie Amazon, Facebook und Google denken.

Welche Rolle sollten die Krankenkassen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens spielen? Und wie können digitale Gesundheitsangebote aus Ihrer Sicht dazu beitragen, die Zusammenarbeit von Krankenkassen und Versicherten zu unterstützen?

Krankenkassen haben sich inzwischen in ihrer Rolle deutlich weiterentwickelt und können als Gesundheitsdienstleister für Millionen von Versicherten eine wichtige Rolle mit Blick auf Digitalisierung spielen. Dazu gehört an erster Stelle ein klares Verständnis von Digitalisierung und wie man sich in diesem Zusammenhang positionieren möchte. Sind wir mutig und gehen voran in der Konzeption von neuen Services? Beziehen wir unsere Kund:innen in die Entwicklung mit ein? Stehen wir neuen Möglichkeiten wie den digitalen Gesundheitsanwendungen offen gegenüber und vereinfachen wir für unseren Versicherten den Zugang dazu über den gesetzlich intendierten Weg hinaus? Um die Digitalisierung des Gesundheitswesens proaktiv zu unterstützen, müssen wir auch den Blick auf weitere Gruppen ausdehnen: So bieten wir einerseits in Kooperation mit einem Partner bspw. Lernangebote für Leistungserbringende zur elektronischen Patientenakte und eRezept an. Andererseits haben wir auch unsere eigenen Beschäftigen im Blick und schärfen über unterschiedliche Maßnahmen deren Digitalkompetenz.

Während andere Branchen von der Digitalisierung regelrecht überrollt wurden, ließ der digitale Wandel im deutschen Gesundheitssystem auf sich warten. Was hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren getan und was ist Ihre Prognose für die Zukunft?

In den letzten Jahren ist nach meiner Wahrnehmung ein großer Aufbruchswille im Gesundheitswesen zu spüren. Dies liegt einerseits an den zunehmend zu Tage tretenden Herausforderungen wie der Finanzierbarkeit des Systems und dem Fachkräftemangel, wobei wir über Digitalisierung die Effekte beider Herausforderungen abdämpfen können. Ich blicke daher positiv in die Zukunft und wage eine optimistische Prognose, wenn wir uns einerseits nicht im Klein-Klein verlieren und uns anderseits zunächst auf das Machbare und Notwendige fokussieren und das System Schritt für Schritt digitaler und zukunftsfähiger ausrichten.

Zwei geplante Gesetzte der Bundesregierung werden derzeit in der Gesundheitsbranche stark diskutiert. Denken Sie, dass das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und das Digital-Gesetz (DigiG) die Anwendung von Gesundheitsdaten erleichtern und die Digitalisierung vorantreiben wird?

Die Gesetze haben momentan noch den Status des Referentenentwurfs. Ich hoffe daher, dass die finalen Gesetze letztlich größtenteils inhaltlich identisch bleiben und nicht weiter verwässert werden, da sie große Schritte im Zusammenhang mit der Digitalisierung bedeuten können. Auch wenn der Zeitplan für die eigentliche Gesetzgebung sehr ambitioniert ist, muss man bzgl. der tatsächlichen zeitnahen Wirksamkeit jedoch realistisch bleiben, da die angestrebten Veränderungen wie bspw. der Aufbau der neuen zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle Zeit in Anspruch nehmen wird.